Die Bewertung von Unternehmen bei Transaktionen im Mittelstand
21. März 2022

Unternehmenstransaktionen nehmen im Mittelstand zwar stetig zu, sind aber unserer Erfahrung nach zumindest für inhabergeführte Mittelständler noch eher die Ausnahme als die Regel. Dennoch gibt es Anlass, sich mit dem Kauf oder Verkauf eines Unternehmens zu beschäftigen. So ist für manche Unternehmer ein Verkauf die einzige echte Option zur Regelung ihrer Nachfolge: zur Wahrung der Interessen in der Familie und in Übernahme der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern des Unternehmens. Andere verkaufen in wirtschaftlicher Notlage; so vermuten nicht wenige, dass Spätfolgen der Corona-Krise noch zu einem verstärkten Verkauf von Unternehmen führen könnten. In jedem Fall stellt sich die „Preisfrage“ früh. Jeder weiß: „Dinge sind genauso viel wert, wie jemand für sie zu zahlen bereit ist.“ Nur löst diese Aussage das Bewertungsproblem nicht. Wie würde also ein gedachter Käufer seine Preisobergrenze für ein Unternehmen (genauer: den „Marktwert des Eigenkapitals“) bemessen? Dieser Beitrag soll interessierten Unternehmern einen kleinen Überblick in die Kunst der Unternehmensbewertung geben.

Der Unternehmenswert – diskontiert oder multipliziert?

In den klassischerweise eingesetzten Ertragswertverfahren stellt man direkt auf den Marktwert des Eigenkapitals ab. Bei größeren Transaktionen werden einer Unternehmensbewertung ausführliche Planungen zugrunde gelegt und mit allen Daten aus Vergangenheit und Gegenwart über das Unternehmen und sein wirtschaftliches Umfeld plausibilisiert. In kleineren Einheiten stellt dies bereits die erste Herausforderung dar: eine solche Unternehmensplanung existiert häufig nicht. Hier wird vielfach versucht, den Zukunftsertrag aus den Jahresergebnissen der Vergangenheit abzuleiten. Doch an dieser Stelle ist besondere Vorsicht geboten, denn das Vergangene ist nicht immer aussagekräftig für die zukünftige Entwicklung.

Die zukünftig prognostizierten Erträge werden risikoadäquat diskontiert, weil sie nicht sofort, sondern über einen langen Zeitraum zufließen. Je länger der Ertrag in der Zukunft liegt, desto höher der Effekt der Abzinsung. Je risikoärmer das Unternehmen, desto niedriger ist der Zinssatz und desto höher der Unternehmenswert.

In der Kapitalisierung liegt die zweite Herausforderung der Unternehmensbewertung auf Basis eines Ertragswertverfahrens, denn die Frage nach der Höhe des risikoadäquaten Abzinsungssatzes lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. In der klassischen Unternehmensbewertung wird der Zinssatz anhand des allgemeinen Zinsniveau ermittelt (Addition des sog. Basiszinssatzes und der sog. Marktrisikoprämie). Mit dem sog. Betafaktor wird dieser Zinssatz angepasst auf die Marktsituation des Unternehmens (anhand von börsennotierten Vergleichsunternehmen) und den individuellen Verschuldungsgrad des Unternehmens. Gerade für mittelständische Unternehmen ist die Ermittlung geeigneter börsennotierter Vergleichsunternehmen oft schwierig. Verständlicherweise wird an dieser Stelle in der Praxis versucht, die Berechnung mit folgenden Maßnahmen zu vereinfachen:

Unternehmern sind solche Vereinfachungen ggf. aus dem Erbschaftsteuerrecht bekannt.

Neben der klassischen Unternehmensbewertung hat sich ein weiteres Verfahren etabliert, das die Bewertung stark vereinfacht und uns in der Praxis regelmäßig beschäftigt: das Multiplikatorverfahren. Im Gegensatz zu den DCF-Verfahren basieren Multiplikatorverfahren nicht auf der Abzinsung künftiger Zahlungsströme, sondern orientieren sich an den auf dem Markt tatsächlich gezahlten Preisen für zumindest annähernd vergleichbare Unternehmen. Die sachgerechte Auswahl dieser Vergleichsunternehmen und damit die Ermittlung des sachgerechten Vervielfältigers (Multiple) stellt hier die zentrale Herausforderung dar. In der Praxis wird oft das EBIT (Earnings Before Interest & Taxes = Ergebnis vor Steuern und Zinsen) als Bezugsgröße verwendet. So wird zunächst der Gesamtwert des Unternehmens ermittelt, von dem die tatsächlich übernommenen (zinstragenden) Schulden abgezogen werden, um zum Marktwert des Eigenkapitals zu gelangen.

Stolperfallen

Neben der Wertermittlung lohnt stets ein tieferer Blick in das Unternehmen. Ist tatsächlich alles Vermögen im Unternehmen (betriebs-)notwendig, um den Jahresertrag/EBIT zu erzielen? Gerade bei langjährig thesaurierenden Mittelständlern hat sich häufig ein beachtliches Eigenkapital angesammelt, das nicht selten über dem Ertragswert liegt. Hier gilt es zu fragen, ob nicht betriebsnotwendiges Vermögen ausgeschüttet bzw. entnommen werden sollte.

Die Frage nach dem betriebsnotwendigen Vermögen ist außerdem zentral bei der Anwendung sog. Debt-and-Cash-Free-Klauseln, bei denen sich der finale Kaufpreis durch den Kassen- und Bankbestand zum Übertragungsstichtag erhöht, sowie um die (zins-)tragenden Verbindlichkeiten verringert. So kann es z. B. plötzlich vom Zahlungszeitpunkt der Kunden (also vom Zufall) abhängen, wie hoch der Kaufpreis im Endeffekt ausfällt.

Stolperfallen bietet auch die GmbH & Co. KG. Hier dürfen die häufig existierenden Gesellschafterdarlehen nicht unberücksichtigt bleiben. Und auch sonstiges steuerliches Sonderbetriebsvermögen (z. B. Immobilien), das mitverkauft wird, muss im Unternehmenswert berücksichtigt werden. Schließlich muss bei Betriebsaufspaltungen beachtet werden, ob die Unternehmensbewertung in sich konsistent ist, insbesondere wenn Immobilien nach einem Immobilienbewertungsverfahren bewertet sind.

Fazit

Ein Unternehmen ist ein komplexes Gebilde. Auch wenn der Verkauf mitunter juristisch ein einfacher Vorgang sein mag, so ist es die Wertermittlung noch lange nicht. Vor der Suche nach einem Käufer genauso wie vor der Abgabe eines Angebots gilt es deshalb einen begründeten Unternehmenswert zu ermitteln und alles Wesentliche im Blick zu behalten.

Ihr
Dr. Ralph Czwalinna & Oliver Stehmann